Rabe

Ich erwache zum Rauschen der Pappeln im Wind, diesem Brausen, das heimelig ist und beängstigend zugleich. Eine Stimme der Herbstwinde, die Blatt um Blatt von den Zweigen fegen.

Ach, ich wünschte so sehr, ich könnte länger im Bett liegen bleiben und lesen, warm und wohlig, an meinem Bauch eine schnurrende Katze. Doch die Zeit ist unerbittlich, der Hörsaal ruft. Ich erhebe mich mit dem Gähnen der Sonne und als ich mit dem Fahrrad dem Wind entgegen auf dem Feldweg fahre, errötet die Welt gerade im Sturmmorgenlicht, diesem unnachahmlichen Farbton, in dem alles irgendwie traumartig scheint.

 

Über mir ziehen Gruppen von Gänsen weiter nach Südwesten, fort von jenem Ort, zu dem ich nun auf dem Weg bin. Wie gern würde ich ihnen folgen! Fliegen, gleiten, vom Wind getragen, der mir unlieb Kälte ins Gesicht haucht, fort von den Verpflichtungen, frei und auf einer großen Reise.

Ich rufe zu ihnen empor: »Gute Reise! Grüßt mir den Süden!«

 

Eine Stimme antwortet mir, eine Stimme, die ich kenne, und schon sehe ich ihn als schwarzen Schatten über der Hecke. Größer erscheint er mir als die ziehenden Gänse, wie er durch die Böen tollt, sich trudelnd fallen lässt und mit geschicktem Flügelschlag abfängt, auf und ab, auf und ab, Kreisel und Salti. Er vollführt kühne Kapriolen, tanzt und spielt mit dem Sturm, während die Gänse weiter ins sichere Inland ziehen.

Als ich näher komme, lässt er sich auf einem Strommast nieder, wo er sich mir als stolzer Schattenriss präsentiert, sich ein wenig plustert und reckt und mir zuruft: »Krrok, krrok krrok!«

Keine Vogelstimme liebe ich so wie diesen hölzernen Ruf des Raben. »Guten Morgen, mein Freund«, werfe ich ihm meine Liebe in den Wind. »Du bis doch von allen der Schönste!«

»Krrok, krrok, krrok!«, gibt er mir seine Stimme mit auf den Weg.

 

Ja, ich will Rabe sein. Und wenn ich im Labor stehe, wenn ich keine Lust mehr habe und müde bin und nicht weiter weiß, werde ich lachen und dem Sturm zeigen, dass ich keine Angst vor ihm habe. Denn mein Leben gehört mir und ich lasse mich nicht beeindrucken, wenn ich es nicht will. Lieber bin ich frech, ein Schelm, mit einem hölzernen Ruf und glänzend nachtschwarzem Gefieder, an dem aller Regen abperlt.

Rabe will ich sein.